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KI in der Verwaltung

Welches Potenzial hat eine moderne Cloud-Infrastruktur für den KI-Einsatz in der Verwaltung?

Ein Interview mit Jens Tiemann und Dr. Mike Weber vom Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) des Fraunhofer Fokus

Veröffentlicht am 16. Dez 2022

Im privaten und beruflichen Alltag wird die Cloud heute ganz selbstverständlich, in der Verwaltung dagegen weniger genutzt. Dabei kann sie die Verwaltungsmodernisierung und den menschenzentrierten KI-Einsatz entscheidend voranbringen. Wie lassen sich ihre Chancen nutzen?

Herr Tiemann, Herr Dr. Weber, die Digitalisierung der Verwaltung ist ein erklärtes Ziel der Bundesregierung. Welches Potenzial hat dabei der Einsatz von Künstlicher Intelligenz aus Ihrer Sicht?

Tiemann: Künstliche Intelligenz (KI) - oder genauer: das sich seit einigen Jahren stürmisch entwickelnde Maschinelle Lernen (ML) - bieten unterschiedliche Anwendungsfelder: von der Mustererkennung auf Prozessdaten über die zielgerichtete Auswertung großer Datenmengen - also das Bergen von "Datenschätzen", wie es früher hieß - bis hin zur Integration von KI-Bestandteilen in moderne IT-Anwendungen, um beispielsweise die Bedienbarkeit zu erleichtern.

Weber: Schon jetzt kann man mit Muster- und Anomalieerkennung Betrug bekämpfen, beispielsweise bei der Auszahlung von Beihilfen oder der Überprüfung von Steuererklärungen. Die vorliegenden Daten werden routinemäßig maschinell geprüft. Wenn dabei bestimmte Muster erkannt werden, führt das zu einem menschlichen Eingreifen mit genauerer Untersuchung des identifizierten Falls. Die Muster können dabei durchaus sehr einfach sein - etwa, wenn sich starke Abweichungen zu vorherigen Steuererklärungen ergeben.

Mit öffentlichen Daten lassen sich natürlich noch sehr viel weitergehende Analysen durchführen. Das bedeutet dann in der Regel, Daten aus verschiedenen Quellen zusammenzutragen und gemeinsam zu analysieren. Solche Analysen können für ein besseres Verständnis von Zusammenhängen oder für Vorhersagen genutzt werden und so zu informierteren Entscheidungen in Politik und Verwaltung beitragen.

Tiemann: KI kann aber auch einfach in modernen IT-Bausteinen enthalten sein. Beispiele sind hier Chatbots beziehungsweise die Nutzung von Sprachverarbeitung im geduldigen Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern oder die Klassifizierung von Dokumenten im Eingangspostkorb zur Entlastung der Mitarbeitenden.

Bei den KI-Anwendungsgebieten kann man also unterscheiden, ob mehr oder weniger fertige Funktionen genutzt werden oder ob mittelfristig schrittweise eigene Kompetenz aufgebaut wird. Wobei das Management von Daten genauso wichtig wie die Auswertung ist. In jedem Fall braucht es aber Grundkenntnisse über die Funktionsweise von KI-Verfahren, um deren Leistungsfähigkeit und Grenzen einschätzen zu können. Dann lässt sich das ohne Frage große Potenzial von KI auch im öffentlichen Sektor ausschöpfen.
 

Sie haben sich intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Rolle die sogenannte Cloud für die Modernisierung der Verwaltung spielen kann. Worum handelt es sich bei Cloud-Computing und wie relevant ist es für die Verwaltungs-KI und bürger*innennahe Services?

Weber: Spätestens seit dem Aufkommen von Cloudspeichern haben wir alle Erfahrungen mit "der Cloud". Inzwischen bedarf es ja schon einiger Eingriffe in die Grundeinstellungen von Smartphone und Computer, damit die Urlaubsfotos nicht in der Cloud landen.

Schon bei so einfachen Cloudspeichern lassen sich ein paar Grundlagen des Cloudcomputing wiederfinden. Die Daten liegen nicht mehr - oder besser: nicht mehr nur - auf dem lokalen Endgerät, sondern auf Servern - irgendwo. Entsprechend wichtig ist der Zugang zu diesen entfernten Ressourcen, damit ich jederzeit auf die Daten zugreifen kann. Wenn ich dann mal mehr Speicherplatz benötige, brauche ich mir keine neue Hardware kaufen, sondern der Speicherplatz lässt sich einfach hinzubuchen. Die Systeme sind dabei leicht bedienbar und lassen sich entsprechend leicht skalieren. Diese Vorteile und Herausforderungen zeigen sich natürlich nicht nur bei Datenspeicherung, sondern auch bei Datenverarbeitung bis hin zu KI-Anwendungen.

Tiemann: Cloud ist also weit mehr als eine virtuelle Festplatte. Auch andere Ressourcen wie Netze, Server, Anwendungen und Dienste lassen sich so – “as a Service” – bereitstellen. Diese Eigenschaften lassen sich für KI-Anwendungen - und alle anderen fortschrittlicheren IT-Anwendungen - besonders gut nutzen. Das trägt dann dazu bei, dass bürger*innennahe Service bereitgestellt werden können - nicht nur, wenn Zugriffzahlen im Zuge von Pandemien plötzlich durch die Decke schießen…

Was sind Vor- und Nachteile der Cloud-Nutzung für KI-Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung?

Weber: Der entscheidende Punkt ist, dass sich etliche KI-Anwendungen ohne Cloudinfrastruktur gar nicht sinnvoll nutzen lassen. Ohne Cloud wäre der Aufwand völlig unverhältnismäßig. Große Schwankungen beim Bedarf an Speicher- und Rechenkapazitäten verdeutlichen das.

Einige Anwendungen arbeiten mit enormen Datenmengen. Denken Sie nur an die Verarbeitung von Videomaterial. Die entsprechenden Speicherkapazitäten lassen sich im öffentlichen Kontext kaum kurzfristig aufbauen. Zudem werden die Kapazitäten oftmals nicht dauerhaft benötigt, was einen Aufbau für nur einen Anwendungsfall hochgradig ineffizient machen würde. Eine Cloudinfrastruktur erlaubt hier die gemeinsame Nutzung von Ressourcen über Anwendungsfälle und sogar über Einrichtungen hinweg.

Beim Maschinellen Lernen stellt sich diese Herausforderung dauerhaft. Für das Training solcher Systeme werden ungleich größere Rechen- und Speicherkapazitäten benötigt als für den späteren Betrieb. Es wäre schlicht Verschwendung, die notwendigen Ressourcen für das Training der Systeme dauerhaft vorzuhalten. Gleiches gilt auch für den Betrieb, wenn es zu regelmäßigen oder auch unvorhergesehenen Lastspitzen kommt.

Tiemann: Bei einer konsequenten Umsetzung des Cloud-Paradigmas ändern sich zudem die Wege der Softwareentwicklung und -bereitstellung. Durch die Modularisierung von Software-Komponenten können viel schneller neue Dienste eingeführt und bestehende aktualisiert werden. Dadurch lässt sich zugleich drohenden Lock-in-Effekten begegnen: Bei konsequenter, auf gängigen Standards basierenden Modularisierung der Software wird ein Umzug zu einem anderen Cloudanbieter erleichtert.

Damit gehen natürlich auch neue Herausforderungen für den öffentlichen Sektor einher. So ändert sich das Zusammenspiel zwischen Softwareentwicklung, Betrieb und Fachlichkeit, das erst einmal erprobt werden muss. Dadurch verändert sich zudem das Kompetenzprofil der Beschäftigten, die neben ihrer Fachlichkeit auch ein grundlegendes Verständnis von Datenverarbeitung und technischen Grundlagen mitbringen müssen. Schließlich ergeben sich auch ganz praktische Herausforderungen, wenn etwa die Bezahlmodelle der Cloudanbieter nicht mit der gängigen Vergabepraxis zusammenpassen. Wird etwa beim Pay-per-use die tatsächliche Nutzung bepreist, ist im Vorhinein nicht immer absehbar, wie viel eine Leistung letztlich kosten wird.

Ganz wesentlich für den Cloudeinsatz ist die Wahl des geeigneten Modells. Cloud ist nicht gleich Cloud. Oft werden damit die großen Hyperscaler mit ihren Public Cloud Angeboten verbunden. Eine Cloudinfrastruktur lässt sich aber auch rein privat aufbauen: Der Zugriff auf die gesamte Infrastruktur bleibt dabei auf einen festgelegten Kreis beschränkt. Die Vorteile, die sich dadurch etwa hinsichtlich der vollständigen Hoheit über Fragen des Datenschutzes und der Informationssicherheit ergeben, werden dabei durch eine geringere Skalierbarkeit erkauft.

Wenn KI in der Verwaltung eingesetzt wird, muss die Sicherheit der sensiblen Daten der Bürger*innen jederzeit gewährleistet sein. Wie sicher sind die Daten in der Cloud?

Weber: Die Cloud hat bei der Frage wohl mit einem ersthaften Image-Problem zu kämpfen. Einen USB-Stick kann ich in die Tasche stecken und so jedem externen Zugriff entziehen. Zumindest solange ich ihn nicht verliere. Bei netzbasierten Zugängen fehlt mir diese Möglichkeit, den Datenzugang auch physisch zu kontrollieren.

In der Praxis spielt das aber natürlich fast keine Rolle. Die Daten sollen ja genutzt werden und sobald sie in den Systemen verarbeitet werden, sind sie auch gewissen Risiken ausgesetzt. Es nützt mir ja auch nichts, das Fahrrad in der Garage stehen zu lassen, damit es mir nicht geklaut wird. Entgegen dem latenten Gefühl, die Kontrolle über die Daten in der Cloud aufgeben zu müssen, gilt aber grundsätzlich: Cloudumgebungen erlauben ein viel höheres Sicherheits- und Schutzniveau. Auch ein Verlust der Daten wird unwahrscheinlicher, weil sich mit unterschiedlichen Geräten zugreifen lässt. Eine defekte Festplatte bedeutet also nicht mehr, dass alle Daten weg sind. Das hat mit Skaleneffekten zu tun: Wenn sich ein Dienstleister voll auf die Bereitstellung der Cloudinfrastruktur konzentrieren kann, erlaubt dies auch ungleich höhere Investitionen in Datensicherheit und Datenschutz. Allerdings werden bei wertvollen Datenschätzen die Angriffsziele auch lohnender: die höheren Schutzniveaus sind also auch erforderlich.

Tiemann: Zugleich lässt sich aber auch durch die gewählte Architektur den Herausforderungen begegnen. Die wichtigste Unterscheidung, die zwischen Private und Public Cloud, haben wir ja eben schon angesprochen. Eine Public Cloud eignet sich eher für unkritische oder stark anonymisierte Daten. Für sensible, personenbezogene Daten ist dann eher eine Private Cloud das Mittel der Wahl.

Bei all dem dürfen auch die Ziele des KI-Einsatzes und der Datenauswertung nicht vergessen werden. Es geht ja darum, den Zugang zu Daten zu verbessern, um bessere öffentliche Services bis hin zu antragslosen Verfahren anbieten zu können. Auch für wissenschaftliche Analysen und die Evidenzbasierung von politischen Entscheidungen bietet die Datennutzung enorme Potenziale. Um die zu nutzen, bedarf es entsprechend angepasster Verfahren für den Schutz der Daten.

Für die Bürger*innen gehört die Cloud-Nutzung oft schon zum Alltag, im privaten Sektor nimmt sie kontinuierlich zu. Braucht auch die öffentliche Verwaltung mehr Mut zur Cloud? Und welche Voraussetzungen müssen dafür geschaffen werden?

Weber: Die öffentliche Verwaltung muss natürlich IT-Trends erkennen und die Potenziale aktueller technischer Entwicklungen nutzen. Die volle Wirkung entfaltet Technik oft erst, wenn auch die Arbeitsprozesse an die neuen Möglichkeiten angepasst werden. Für die Cloud-Nutzung bedeutet das, dass Prozesse zur Einführung und bei der Nutzung von IT-Anwendungen überarbeitet werden. Die Cloud steht für “Selbstbedienung”, das heißt Rechenzentren automatisieren ihre angebotenen Dienste und können sie dadurch effizient betreiben. Mitarbeitende aus der Verwaltung greifen direkt auf diese Dienste zu - natürlich mit Unterstützung durch gute IT-Anwendungen. Insofern braucht es mehr Mut oder Entschlossenheit, die Cloud-Dienste dezentral in eigener Verantwortung und je nach Bedarf auch spontan einzusetzen, ohne weitere Zwischenstufen bei der Verarbeitung von Daten und ohne langwierige Bestellprozesse.

Tiemann: Die Nutzung der Cloud kann auch zur Schärfung der Rollen bei der Entwicklung neuer Software oder deren Anpassung beitragen. Dank solcher Konzepte wie Low Code oder modellgetriebener Softwareentwicklung wird es für die Anwender etwa möglich, kleinere Anpassungen in ihren Fachanwendungen selbst vorzunehmen. Das sind beispielsweise Änderungen an Texten oder Anpassungen von Freibeträgen. IT-Anwendungen können besser und sicherer werden, wenn die Fach- und IT-Experten effizient zusammenarbeiten und sich jeweils auf ihre Expertise konzentrieren können.  

Weber: Die Schaffung geeigneter Cloud-Infrastrukturen steht auch schon auf der Tagesordnung. Welche Abstimmungsprozesse dazu erforderlich sind, etwa hinsichtlich der erforderlichen Sicherheitsniveaus, lässt sich ganz gut beim Aufbau von Datenräumen im Rahmen von Gaia-X beobachten. Auch für die umfassende Verwaltungscloud wurden jetzt die ersten Module beauftragt. Dabei geht die Richtung klar in hybride Cloud-Strukturen, also einer Mischung als Public und Privat Cloud. Die berechtigte Erwartung ist dabei, die Vorteile der einen Struktur - die Skalierbarkeit der Public Cloud - mit den Vorteilen der anderen Struktur - vollständige Hoheit über die Datensicherheit bei der Private Cloud - zu verbinden. Für die Verwaltungscloud werden also sowohl die öffentlichen IT-Dienstleister als auch die Hyperscaler eine Rolle spielen.

Dabei stellt sich die alte Frage nach dem Make or Buy: Was muss die öffentliche Hand selbst bereitstellen und welche technischen Komponenten können State of the Art eingekauft werden. Trotz der hohen Anforderungen und Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung - also etwa das hohe Schutzniveau der Daten oder die nicht vollständige Automatisierbarkeit von Entscheidungen - gibt es da schon einiges "von der Stange". Sobald die Voraussetzungen geschaffen sind, braucht es also nur noch den Mut zum Ausprobieren.